Corona und Frauenhäuser „Die Not ist extrem groß“

Schutz suchen im Frauenhaus: Immer häufiger müssen Hilfesuchende auf andere Bundesländer ausweichen.

Was macht die Corona-Krise mit unserer Gesellschaft? In einer Reihe wollen wir im Wechsel negative Auswirkungen und positive Begleiterscheinungen aufzeigen. Es geht um die Sollbruchstellen und Lücken, aber auch die Lichtblicke und Brücken, die die gegenwärtige Situation mit sich bringt. Es ist etwas im Wandel, das ist völlig klar. Wir spüren dieser Entwicklung nach.  Schon während der Phase der starken Corona-Beschränkungen warnten Verbände vor einer Zunahme der häuslichen Gewalt. Orte, in denen Opfer schnelle Zuflucht finden, sind Frauenhäuser. Wie wirkt sich die Krise auf diese Einrichtungen aus?

Wie in der zentralen Anlaufstelle 24/7 in Hamburg war es im Frauenhaus Norderstedt zu Beginn der starken Corona-Beschränkungen noch relativ ruhig. „Ab Mai stiegen die Anfragen an uns dann rapide an“, sagt Einrichtungsleiterin Anita Brüning. Im Fall einer Absage versuchen die Mitarbeiterinnen, die Betroffenen in Frauenhäusern benachbarter Bundesländer unterzubringen. Gibt es auch hier keine freien Plätze, fragen sie Einrichtungen in Niedersachsen, Bremen oder Nordrhein-Westfalen an.

Manche Frauen, die nicht aus ihrer Heimat wegmöchten, kommen in Einzelfällen notgedrungen erstmal bei Familie oder Freunden unter oder bleiben im schlimmsten Fall beim gewalttätigen Partner. „Die Not ist extrem groß“, sagt Brüning. Das merke man daran, dass manche Frauen sich über verschiedene Stellen, zum Beispiel über das Jugendamt, mehrfach an das Norderstedter Frauenhaus wenden.

 

Anstieg von Anfragen kam erst mit Lockerung der Corona-Maßnahmen

Dass die Zahl der Anfragen erst nach den starken Corona-Beschränkungen anstieg, sei ein Phänomen, dass sich auch um Weihnachten herum zeigt. „Die Anfragen kommen zeitversetzt“, sagt Brüning. Das lässt sich anhand der Dynamik von häuslicher Gewalt erklären: Die wenigsten Frauen trennen sich, wenn das erste Mal etwas passiert, sondern wenn die Gewalt immer häufiger oder intensiver eskaliert. Mit einer Trennung zerbrächen auch ihre Lebens- und Zukunftsträume, sagt Brüning. „Das ist keine leichtfertige Entscheidung.“ Viele Frauen fühlten sich außerdem schuldig und „übernehmen eine Zeitlang die Argumente des Täters. „Dass sie beispielsweise eine schlechte Ehefrau, Köchin, Putzfrau oder Mutter sind“, so Brüning weiter. Sie rechtfertigen die Gewalt des Partners. So auch in der Zeit der strikten Corona-Beschränkungen: ‚Die Ausnahmesituation treibe ihn nun einmal so weit’, das klingt fast nach Verständnis ist aber Teil eines Phänomens:

Häusliche Gewalt entwickelt sich meist wie eine Spirale abwärts. In der ersten Etappe kommt es zu einer Explosion, daran schließt oft eine Entspannungsphase an, in der der Partner sich entschuldigt und Besserung gelobt. Die Frauen schöpfen so Hoffnung – bis alles wieder von Neuem beginnt. „Die meisten Frauen, die sich an uns wenden, haben schon jahrelang Gewalt ausgehalten“, sagt Brüning.

 

Bedarf für zusätzliches Frauenhaus besteht aus Sicht der Diakonie schon länger

Nicht nur die Fülle an Absagen in diesem Jahr, sondern im Jahr zuvor, zeigen eines relativ deutlich: Es gibt zu wenig Plätze. „Wir als Frauenhaus Norderstedt sind immer schon voll belegt und sehen immer schon den Bedarf für ein weiteres Frauenhaus“, sagt Andrea Makies, kaufmännische Geschäftsführerin der Diakonie im Kirchenkreis. „In ganz Schleswig-Holstein gibt es seit Langem Diskussionen, dass die Zahl der Frauenhausplätze nicht reicht.“

Aktuell hat das Land Schleswig-Holstein eine Bedarfsanalyse durchgeführt. Sie wird derzeit ausgewertet. Die Ergebnisse sind für Ende des Jahres erwartet. Und können somit erst in den Haushaltsbeschluss des kommenden Jahres einfließen. 2021 wird sich an der angespannten Lage in Norderstedt voraussichtlich also erst einmal nichts ändern. Brüning wird sich nun beim Landkreis dafür einsetzen, dass zumindest die externe Wohnung mit fünf Plätzen bestehen bleibt. Deren Förderung läuft Ende 2020 aus.